Reisekamera, um 1900 Holz, Buntmetall, Leder, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. 1476
Christine Fröhlich, wissenschaftliche Mitarbeiterin, stellt ihr Lieblingsobjekt des Monats Juli 2023 vor:
„Die Reisekamera ist gleich in mehrerlei Hinsicht ein spannendes Objekt. Mit ihrem Aussehen, das sich so stark von heutigen Kameras unterscheidet, lädt sie zum Vergleichen, Staunen und auf eine Zeitreise zurück in die Zeit um 1900 ein, als man statt Filmstreifen noch Glasplatten verwendete. Gleichzeitig lässt sich an dieser Kamera auch viel erzählen, nicht nur über die Historie der Fotografie, sondern auch über die Geschichte des Tourismus auf der Wartburg.“
Weil die Reisekamera so ein ansprechendes Objekt ist und sich über sie so viel zu Tourismusgeschichte berichten lässt, ist sie in der neuen Sonderausstellung „MYTHOS WARTBURG: 10 FRAGEN AN DIE IDEALE BURG“ eines von neun Highlight-Objekten, die jeweils ein eigenes Thema repräsentieren. Die Reisekamera steht dabei für die Wartburg als Reiseziel und die Frage: „Was wäre der Mythos ohne Gäste?“.
Heute ist für viele ein Selfie auf der Schanze mit dem Bergfried im Hintergrund schon fast Pflicht bei ihrem Wartburgbesuch. Doch auch schon in der Zeit um 1900 haben Reisende Fotos auf der Wartburg gemacht. Davon zeugt ein Buch im Archiv der Wartburg-Stiftung, in das sich Amateurfotografierende ebenso wie Malerinnen und Maler eintragen mussten, um im Burggelände Bilder der Wartburg fertigen zu dürfen. Diejenigen, die sich eintrugen, um Lichtbildaufnahmen zu machen, waren beispielsweise Chemiker und Ingenieure und kamen aus ganz Deutschland – besonders häufig aus Berlin. Aller Wahrscheinlichkeit nach kamen sie als Touristen auf die Burg.
Möglicherweise hatten diese Fotografen ein ähnliches Kameramodel wie die Reisekamera im Gepäck. Sie wirkt aufgrund ihrer Größe zwar nicht sonderlich handlich und konnte außerdem nur mit einem Stativ verwendet werden. Sie ist aber nur halb so groß wie die ebenfalls in der Sammlung der Wartburg befindliche Atelierkamera! Außerdem lassen sich beide Kameras praktisch zusammenfalten und an einem Ledergriff tragen, sodass man die Reisekamera wie einen Mini-Koffer mit auf Reisen nehmen konnte.
Bis das touristische Fotografieren größere Verbreitung fand, sollte es allerdings noch einige Jahre dauern, nämlich bis sich handlichere, mit Rollfilmen arbeitende Kameras durchgesetzt hatten. Um dennoch eine bildliche Erinnerung an ihren Wartburgbesuch zu haben, ließen zahlreiche Tagungsgruppen und Vereine von einem professionellen Fotografen ein Gruppenbild auf der alten Feste machen. Sehr gerne kauften die Gäste auch Postkarten mit Bildern der Burg, die häufig auf Fotografien basierten. Diese konnten beispielsweise im Hof des Gasthofs erstanden werden, wo auch die Eintrittskarten für die Burg verkauft wurden. Ein Bild des alten Gasthofs, des Vorgängers des Wartburghotels, mit dieser Verkaufsstelle ist übrigens auch in der Sonderausstellung zu sehen.
Das Recht auf der Burg fotografieren zu dürfen, war also ein sehr lukratives – und daher auch heiß umkämpft. Den meisten Fotografen blieb diese Erwerbsquelle allerdings verwehrt. Seit den 1890ern wurde gegen eine jährliche Gebühr nur einem einzigen professionellen Fotografen das exklusive Recht zugestanden, auf der Wartburg zu fotografieren. Für den früheren Besitzer unserer Reisekamera, Burghauptmann Hans Lucas von Cranach – im Amt von 1894 bis zu seinem Tod 1929 –, galt dies natürlich nicht. Im Laufe der Jahre fertigte der passionierte Hobbyfotograf zahlreiche Fotografien der Burg, ihrer Gäste und Bewohner, unter denen seine Freunde und Verwandten, der Burgvogt Barthel und auch der großherzogliche Hof waren. Noch heute lassen sich über 800 Aufnahmen im Bestand der Fotothek der Wartburg nachweisen, die eindeutig dem Burghauptmann zugeordnet werden können! Die entstandenen Bilder nutzte dieser nicht nur für private Zwecke. Seine Wartburgaufnahmen fanden auch Verwendung in Ausstellungen und Vorträgen – und als Grundlage für mehrere erfolgreiche Postkartenserien, die regen Absatz fanden. Manche Touristinnen und Touristen mögen ihre Postkarten als bildliches Andenken an ihre Erlebnisse auf der Wartburg behalten haben, die meisten werden sie aber wohl an Freunde und Bekannte verschickt haben. Auf diese Weise trugen die Gäste der Burg den Mythos weiter und hielten ihn lebendig. Und heute? Das Verschicken von Postkarten mag im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts wohl etwas außer Mode geraten sein. Doch mit Selfies und anderen per Whatsapp verschickten oder in den sozialen Medien geteilten Bildern vom eigenen Burgbesuch, sind es bis heute unsere Gäste, die dem Mythos Wartburg Leben einhauchen.
Wenn Sie noch mehr über den Wartburg-Tourismus und weitere Aspekte des Mythos Wartburg erfahren wollen, besuchen Sie doch unsere Sonderausstellung; sie ist täglich geöffnet. Auch ein Begleitbuch gibt es, das im Museumsladen auf der Wartburg und im Webshop erhältlich ist.
Quellen:
Bild 1: Reisekamera, um 1900, Holz, Buntmetall, Leder, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. 1476
Bild 2: Blick in die Sonderausstellung „MYTHOS WARTBURG: 10 FRAGEN AN DIE IDEALE BURG“, Wartburg-Stiftung, Foto: Rainer Salzmann
Bild 3: Atelierkamera und Reisekamera, transportbereit zusammengeklappt, Ferdinand Franz Meyer, Dresden, und unbekannter Hersteller, um 1900, Holz, Buntmetall, Leder, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. 1476
Bild 4: Gruppenbild der Konferenz der deutschen standesherrlichen Beamten auf der Wartburg, 13.–15.5.1909, Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. Abz_01_0156-151
Bild 5: Vorlage für eine Postkarte, Hans Lucas von Cranach, 1906, Fotografie, Aquarell, Handschrift auf Papier, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. Abz_02_0069-57
Bild 6: Burghauptmann Hans Lucas von Cranach mit seinem Pudel im Eingang der Kommandantendiele der Wartburg, Hans Lucas von Cranach, 17.08.1902, Glasnegativ, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. PI_01_1707_A