Die weißen Tauben der Wartburg
Dr. Franziska Nentwig, Burghauptmann und Vorstand der Wartburg-Stiftung, stellt ihr Lieblingsobjekt – in diesem Fall besser ihre Lieblingssubjekte - des Monats April 2022 vor:
Die weißen Tauben der Wartburg! „Hier geht‘s zu wie im Taubenschlag!“ mag man manchmal denken, wenn gerade besonders viele Menschen aus nah und fern die UNESCO Welterbstätte Wartburg besuchen. Die Gäste kommen aus verschiedenen Beweggründen, sie haben aber eines gemeinsam: Gleich zu Beginn ihres Besuches begegnen sie bildschönen weißen Tauben! Wie aber kamen diese friedlichen Vögel auf die Wartburg und welche Symbolik ist mit ihnen verbunden?
„Elisabeth-Tauben“, „Hochzeitstauben“, „Aschenputtel-Tauben“ oder auch „Friedenstauben“, hört man die Gäste oft sagen, wenn sie im vorderen Burghof auf die zutraulichen Vögel treffen. Biologisch korrekt ist jedoch ihre Bezeichnung als weiße „Pfautauben“. Mit ihren zierlichen, zum Rad geschwungenen Schwanzfedern erinnern sie tatsächlich an Pfauen. Im Unterschied zum Pfauhahn aber, der sein prächtiges Rad aus Federn aufstellen und auch wieder zusammenlegen kann, ist das Schwanzgefieder aller Pfautauben stets aufgefächert. Sie sind daher weniger fluggewandt als „normalfedrige“ Artgenossen.
Die weißen Tauben auf der Wartburg lassen uns nicht nur wegen ihrer Schönheit innehalten: Sie stehen auch als Symbol für Hoffnungen und Wünsche der Menschen. Noah entsandte eine Taube. Sie kehrte mit einem Ölbaumzweig zurück, zeigte damit das Ende der Sintflut an und zugleich die Versöhnung zwischen Gott und Mensch zum Frieden. Im Christentum steht die Taube auch als Symbol für den Heiligen Geist. Der ewige Wunsch nach Frieden und Treue wird auch mit dem Auflassen von weißen Pfautauben zu Hochzeitsfesten verbunden. Das gibt zauberhafte Fotos, ist aber für mich Tierquälerei! Die Vögel werden von Fremden angefasst, was sie nicht mögen, und müssen in der Luft ihren Weg zurückfinden - mit allen Gefahren, die Wind, Wetter und Raubvögel für sie als nicht so versierte Flieger bedeuten!
Im Gegensatz zu den nicht minder symbolhaft belegten Kolkraben im Londoner Tower sind die Flügel unserer Pfautauben auf der Wartburg nicht gestutzt: Die Suche nach einem anderen Zuhause wäre ihnen also möglich. Aber sie mögen offensichtlich ihren historischen Taubenschlag auf der Burg und werden von Frau Bianca Bode zusammen mit den anderen Hausmeistern der Wartburg täglich liebevoll gehegt. Sie erfreuen deshalb ganz entspannt die Menschen auf der Burg. Selbst unsere Turmfalken lassen die weißen Schönheiten im Sinne eines friedlichen Miteinanders im Burggemäuer zufrieden. Aktuell haben wir gerade vier „Taubenbabys“ und zwölf „Erwachsene“.
Aber wie kamen die weißen Pfautauben eigentlich auf die Wartburg? Der Legende nach wurden sie von der heiligen Elisabeth im frühen 13. Jahrhundert aus Ungarn mitgebracht und sollen seitdem auf der Burg beheimatet sein. Die früheste Abbildung einer Pfautaube, damals noch unter anderem Namen, ist jedoch erst 1678 in England nachweisbar. Vor 1800 gibt es auf der Wartburg keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Tauben. Erst eine bildliche Darstellung von 1823 zeigt am Dach des damals noch nicht frei gelegten Palas lange, waagerechte Holzstangen, auf denen weiße Tauben sitzen. Später vermerkt ein Inventarbuch von 1829 die Existenz von einem „Taubenschlag mit drey Fluglöchern“ unter dem Margarethengang. Wartburgtauben dürften also innerhalb der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auf der Burg angesiedelt worden sein. Sie begleiten damit erst seit etwa zwei Jahrhunderten das Leben auf der Burg.
Wir freuen uns auf Ihren nächsten Wartburg-Besuch! Lassen Sie sich dabei nicht nur vom „Mythos Wartburg“ in Architektur, Geschichte und Kultur gefangen nehmen, sondern schenken Ihre Aufmerksamkeit für einige Momente auch unseren freundlichen, weißen Pfautauben! Ihre Symbolkraft für Frieden und respektvolles Miteinander ist heute bedeutsamer denn je…