Die Fahne der Jenaer Urburschenschaft im Festsaal der Wartburg Burschenschaftsfahne, Nachbildung der 1930er Jahre (Original von 1816), Seide, 175 x 180 cm, Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KT0029
Janne Neupert, studentischer Praktikant auf der Wartburg, stellt sein Lieblingsobjekt des Monats September 2023 vor:
„Im Festsaal des Wartburgpalas befindet sich ein sehr großes und markantes Exponat der Kunstsammlung, das eine ganz besondere Geschichte erzählt: die Fahne der Jenaer Urburschenschaft. Das symbolträchtige Stück erinnert an das berühmte Wartburgfest von 1817 und ist zugleich von zentraler Bedeutung für die Entstehung unserer heutigen Nationalflagge . Dies sind nur zwei der Gründe, weshalb die Burschenschaftsfahne für mich das Objekt des Monats ist.“
Zum 300. Jahrestag der Reformation und dem 4. Jahrestag der siegreichen Völkerschlacht bei Leipzig lud die Jenaer Urburschenschaft am 18. Oktober 1817 auf die Wartburg ein. Etwa 500 Teilnehmer, überwiegend Studenten aus elf deutschen Universitäten, formierten sich zu einem Zug mit einer klar choreografierten Festordnung. Die Fahne der Jenaer Urburschenschaft, deren originalgetreue Nachbildung heute im Festsaal hängt, wurde dem Zug auf die Wartburg vorangetragen. Das Fahnenmotiv besteht aus drei Querbalken in rot-schwarz-rot, die mittig von goldenem Eichenlaub bekrönt sind. Als solches war die Fahne ein Geschenk der städtischen Frauen und Jungfrauen an die Jenaer Burschenschafter. Viele der Mitglieder der 1815 gegründeten Burschenschaft hatten als Freiwillige in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gekämpft. Im sogenannten Lützower Freikorps trugen sie einheitliche Uniformen in schwarz, mit goldenen Messingknöpfen und roten Aufschlägen. Durch die hohe Popularität des Freikorps in der Bevölkerung wurde die Farbkombination schwarz-rot-gold schnell zum Sinnbild des Freiheitskampfes und der nationalen Einheit.
Genau dieser Geist wurde auf dem Wartburgfest beschworen, denn bei einer simplen Gedenkfeier mit Gottesdienst, Turnübungen und gemeinsamem Singen sollte es nicht bleiben. In glühenden Reden machten die Studenten ihrer Wut über die restaurative Politik der deutschen Fürsten Luft, die nach den Freiheitskriegen gegen Napoleon schlichtweg die alten Verhältnisse wiederhergestellt hatten. Vehement forderten sie die Einheit Deutschlands, freiheitliche Grundrechte und das Einsetzen der versprochenen Landesverfassungen. Die Zusammenkunft entwickelte sich somit zu einem Protestereignis, ja einer der frühesten bürgerlich-oppositionellen Willensbekundungen auf deutschem Boden. Doch es gab auch hier Schattenseiten: die nicht autorisierte Bücherverbrennung auf dem gegenüberliegenden Wartenberg etwa, bei der Schriften politischer Gegner verschmäht und ins Feuer geworfen wurden, oder allgemein radikale, antisemitische und antifranzösische Reden und Ausrufe. Sie kennzeichnen die Ambivalenz dieses Ereignisses, das nichtsdestotrotz heute zu einem zentralen Ereignis der deutschen Demokratiegeschichte zählt.
Bis zu unserem heutigen geeinten deutschen Nationalstaat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung war es freilich noch ein weiter Weg. Nach den gescheiterten demokratischen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts folgten Deutsches Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und das Nebeneinander von DDR und BRD. Erst 1989/90 wurde Deutschland wiedervereint. Seitdem weht auch die symbolträchtige schwarz-rot-goldene deutsche Nationalflagge weithin sichtbar auf dem Bergfried der Wartburg. Die große Burschenschaftsfahne im Festsaal des Wartburgpalas erinnert heute an die bedeutsamen Ereignisse vor über 200 Jahren, die wesentlich zur Entstehung unserer modernen Demokratie beitrugen.
Die Burschenschaftsfahne können Sie zu den Öffnungszeiten der Wartburg im Festsaal des Palas besichtigen. Weitere Informationen und spannende Objekte zum Wartburgfest von 1817 finden Sie außerdem in der Sonderausstellung „Mythos Wartburg: 10 Fragen an die Ideale Burg“ in unserem Museum.
Quellen:
Bild 1 und 2: Die Burschenschaftsfahne im Festsaal des Palas der Wartburg (Kopie des Jeanaer Originals), Wartburg-Stiftung, Foto: Rainer Salzmann
Bild 3: Zug der Burschen auf die Wartburg am 18. Oktober 1817, Johann Heinrich Hose, nach 1817, Stahlstich, Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.-Nr. G2693
Bild 4: Der Bergfried der Wartburg mit deutscher Nationalflagge, Wartburg-Stiftung, Foto: Rainer Salzmann