Das Veilchen im Fresko der Gründungssage der Wartburg

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Die Gründungssage der Wartburg, Fresko von Moritz von Schwind im Landgrafenzimmer des Palas der Wartburg

Petra Schall, Archivarin der Wartburg, stellt ihr Lieblingsobjekt des Monats Oktober 2020 vor:

„Wahrscheinlich den meisten Wartburg-Besuchern geht es so wie mir, wenn sie im Landgrafenzimmer im Palas stehen und zu den Wandbildern hochschauen: sie denken an Märchenbilder aus Kinderzeiten. Mit viel Liebe zur Natur und zum Detail, mit Humor und bildlichen Gleichnissen hat der Maler hier alte Dichtungen mit Pinsel und Farbe zum Leben erweckt. Ein unscheinbares Blümchen im Bild mit der Gründungssage der Wartburg erzählt jedoch eine ganz eigene, den meisten sicher unbekannte Geschichte.“

Galerie

  • Die Gründungssage der Wartburg, Fresko von Moritz von Schwind im Landgrafenzimmer des Palas der Wartburg
  • Das Veilchen im Fresko der Gründungssage der Wartburg im Landgrafenzimmer des Palas der Wartburg
  • Porträt der Herzogin Helene von Orleans, Moritz von Schwind, Bleistift, 1855, Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.-Nr. G2695

Die Bilder befinden sich an drei Wänden unterhalb der Decke des Raumes und stellen sieben Sagen aus der Thüringer Landgrafengeschichte dar. Die in Freskotechnik ausgeführten Wandgemälde schuf der spätromantische Maler Moritz von Schwind von Mai bis September 1854. Sie waren der Beginn der Ausschmückung der infolge als Sängersaal, Elisabethgalerie und Landgrafenzimmer bezeichneten Palasräume und Auftragswerk des Wiederherstellers der Wartburg im 19. Jahrhundert, Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Als Professor der Münchner Kunstakademie war der gebürtige Wiener Schwind zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens angelangt und insbesondere durch seine Märchen- und Sagendarstellungen berühmt geworden. Der Wartburgauftrag war für ihn eine echte Herausforderung, stand doch hier der gute Ruf auf dem Spiel; viele namhafte Künstlerkollegen, aber auch fürstliche Honoratioren kamen zur „Begutachtung“ der zur denkmalhaften Ausgestaltung der Wartburg gehörenden Wandbilder.

Auch die seit 1848 im Eisenacher Exil lebende Herzogin Helene von Orléans nahm regen Anteil am Geschehen auf der Wartburg. Freundschaftlicher Kontakt zum Wartburgkommandanten Bernhard von Arnswald, dessen Junggesellenherz heimlich für die schöne und in der Eisenacher Gesellschaft beliebte Frau besonders hoch schlug, ließ die Herzogin des Öfteren die Burg besuchen oder gemeinsame Ausflüge unternehmen. Während Schwinds Anwesenheit kam auch der Maler in den Genuss der Begegnung mit „dieser herzlichen und noblen Frau“, „dieser Grazie in Person“, dieser „liebenswürdigste[n] und seelenvolle[n] Fürstin, die ihm je vorgekommen“ und die „durch ihr Erscheinen der Wartburg eine neue Weihe gegeben“, wie Schwind in Briefen an seine Freunde schwärmte. Der Maler zeichnete das Bild der Herzogin mehrmals. In der Grafiksammlung der Wartburg-Stiftung hat sich eine Bleistiftzeichnung Moritz von Schwinds mit dem Porträt der Herzogin von Orléans erhalten.

Seine Verehrung reflektierte sich noch lange nach seiner Rückkehr nach München: sein im Jahr 1856 geborenes viertes Kind ließ er auf den Namen Helene taufen, und in Erinnerung an diese Wartburg-Begegnung entstand um 1860 ein kleines Genrebild, das die Herzogin auf dem Malgerüst im Wartburgpalas zeigt. Mit eigener Hand durfte sie ein Blümchen in den Vordergrund des ersten Landgrafenbildes malen, Kavalier Schwind hält ihr die Palette und Burgkommandant von Arnswald ist Zeuge des ungewöhnlichen Schauspiels. Denn Schwind beherrschte zwar die mit Höflichkeit und Charme verbundene Etikette gegenüber der Weiblichkeit, unbeherrscht und auch cholerisch war hingegen mitunter seine Reaktion auf unliebsame Störungen während der Arbeit oder kritischen Äußerungen. Und so war es schon eine besondere Ehre, eines seiner Werke mit fremder Hand ergänzen zu dürfen. Das Gemälde mit dieser Augenblicksdarstellung ist leider im Zweiten Weltkrieg einem Brand zum Opfer gefallen; heute existiert nur noch eine Schwarzweiß-Fotografie davon.

Das Blümchen, das der Betrachter des ersten Freskos an der Südwand im Landgrafenzimmer beim genauen Hinsehen im Wurzelgeflecht eines Baumstumpfes leicht erkennt, ist ein Veilchen; links daneben kennzeichnet ein mit weißem Pinselstrich gemaltes „H.“ die Urheberin.

Alle Wandmalereien von Moritz von Schwind können während der Öffnungszeiten beim Rundgang durch den mittelalterlichen Palas der Wartburg besichtigt werden. Das Veilchen im Fresko mit der Gründungssage kann man zu jeder Jahreszeit blühen sehen.

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