Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg um 1200–1230, Eichenholz, farbig gefasst, Dauerleihgabe der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Reinsfeld (DLP-01)

Zurück

Abb. 1: Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg 2024
Abb. 1: Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg 2024

Ines Falkenhain, Gästeführerin auf der Wartburg, stellt ihr Lieblingsobjekt des Monats März 2024 vor: „Schau mal, der hat ja eine richtige Krone auf!“ So bleiben oft Kinder staunend vor dem kleinen Kruzifix im Museum stehen und zupfen ihre Eltern am Ärmel. Auch ich bin fasziniert von der Skulptur, die immerhin 800 Jahre alt ist und zu den ältesten Stücken zählt, die im Museum der Wartburg ausgestellt werden. Die Vorstellung, dass Elisabeth von Thüringen (1207–1231) schon ein solches Jesuskreuz gesehen haben könnte, beeindruckt mich sehr und bei genauer Betrachtung stellt sich für mich heraus, dass es sich wahrlich um ein ganz besonderes Kruzifix handelt.“

Galerie

  • Abb. 4: Das Kruzifix aus Reinsfeld, Dauer­leihgabe der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Reinsfeld (DLP-01) 2024
    Abb. 4: Das Kruzifix aus Reinsfeld, Dauer­leihgabe der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Reinsfeld (DLP-01) 2024
  • Abb. 1: Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg 2024
    Abb. 1: Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg 2024
  • Abb. 2: Blick in das Museum der Wartburg mit dem Kruzifix aus Reinsfeld 2024
    Abb. 2: Blick in das Museum der Wartburg mit dem Kruzifix aus Reinsfeld 2024
  • Das Kruzifix als Altarkreuz in der Kapelle der Wartburg (bis 2019)
    Das Kruzifix als Altarkreuz in der Kapelle der Wartburg (bis 2019)
  • Abb. 05: Die Wartburgkapelle im Jahr 1958
    Abb. 05: Die Wartburgkapelle im Jahr 1958

Unsere heutigen Sehgewohnheiten und die Fülle an tagtäglichen Informationen und Bildern lassen sich mit denen der Menschen im Mittelalter nicht im Geringsten vergleichen. Vor 800 Jahren konnten die meisten Menschen nicht lesen und schreiben, und auch Bilder sah man viel weniger. Es gab damals längst nicht so viel Ablenkung wie im 21. Jahrhundert. Das, was man sah, wirkte entsprechend viel stärker auf die Menschen, vor allem im kirchlichen Kontext. In Anbetracht des gekreuzigten Jesus sollten die Menschen ihre Sünden bereuen. Die Gläubigen sollten mit den Figuren in Kommunikation treten, sich regelrecht in die Bildwerke vertiefen. Das intensive Schauen und Vertiefen galt als heilswirksam.

Das Kruzifix zeigt einen Jesus mit schwarzem Bart und schwarzen Haaren, der eine echte Krone trägt, die vergoldet gewesen sein könnte. Sein Kopf ist nach rechts geneigt, die Augen sind geschlossen. Er wirkt nicht wie ausgemergelt und leidend, sondern wie ein Schlafender mit rosiger Haut. Sein weißes Lendentuch ist mit floralen Ornamenten und roten Bortenstreifen verziert. Die hellroten Blutmale an Gesicht und Bauch gehen in dunkelrote Tropfen über. Deutlich zu erkennen ist der Lanzenstich unter der rechten Brust. Üblich für romanische Darstellungen sind die horizontal ausgebreiteten Arme. Ganz außergewöhnlich aber ist, dass die Füße bereits übereinandergelegt sind und nicht nebeneinander stehen.

Diese Details zeigen, dass das Kruzifix in einer Zeit entstand, in der sich die Kunst änderte. Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde nicht mehr der triumphierende Christus, der auferstandene Gottessohn als Überwinder des Todes mit einer Königskrone dargestellt. Es ging eher darum, seine menschliche Natur und Gestalt zu zeigen, denn so konnten die Menschen ein persönlicheres und emotionaleres Verhältnis zu Gott empfinden und sich verstärkt in das Leiden einfühlen. Konkret bedeutete das: Im Übergang von der Romanik zur Gotik wird Jesus mit einer Dornenkrone dargestellt. Hierbei ging es aber nicht nur um die Darstellung der Schmerzen, sondern auch um Spott und Schmach: dem König setzte man zur Beleidigung eine Krone aus Dornen aufs Haupt. Genau in diese Umbruchsphase in der Kunst fällt auch der Übergang vom Vier- zum Dreinageltypus. Der Körper des mit drei Nägeln (zwei an den Händen und einer an den Füßen) an den Kreuzesstamm geschlagenen Christus sollte die Kreuzesqualen stärker zum Ausdruck bringen, als eine Figur, deren Füße nebeneinander mit zwei Nägeln ans Kreuz geschlagen sind.

Das Einzigartige an diesem Kruzifix ist, dass es sich hier um eine Darstellung mit Königskrone (christus coronatus) entsprechend der Romanik handelt, die Füße aber bereits im Dreinageltypus, der Gotik entsprechend, übereinandergelegt sind. Etwas Vergleichbares wird man lange suchen!

Nehmen Sie sich doch etwas Zeit für die Betrachtung. Über viele Jahrhunderte erhalten, egal ob durch persönliche Verehrung, Wertschätzung, das Engagement einer Kirchgemeinde oder eines Museums: Es kann uns so viel erzählen!

Ursprünglich stammt das Kruzifix aus der Wehrkirche Reinsfeld (spätes 12. Jh.), acht Kilometer südlich von Arnstadt. 1933 kam es ins Thüringer Museum nach Eisenach, wo in der Predigerkirche auch heute beeindruckende mittelalterliche Schnitzplastiken und faszinierende Altäre präsentiert werden, die es unbedingt lohnt anzuschauen. Später kam es von dort auf die Wartburg. Die Dauerleihgabe der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Reinsfeld bildete jahrzehntelang das Altarkreuz der Kapelle der Wartburg. Heute wird das Kruzifix aus konservatorischen Gründen in der Dauerausstellung des Museums präsentiert, wo es die Besucherinnen und Besucher der Wartburg in Staunen versetzt.

Bildunterschriften und -nachweise:

Abb. 1: Das Kruzifix aus Reinsfeld im Museum der Wartburg 2024, Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 2: Blick in das Museum der Wartburg mit dem Kruzifix aus Reinsfeld 2024, Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 3: Das Kruzifix als Altarkreuz in der Kapelle der Wartburg (bis 2019) Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 4: Das Kruzifix aus Reinsfeld, Dauerleihgabe der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Reinsfeld (DLP-01) 2024, Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 5: Die Wartburgkapelle im Jahr 1958 Fotografie, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Inv.-Nr. Abz_02_0113-58

Zurück