Kanzel- oder Predigtsanduhr, 1694 Bronze (vergoldet), Holz, Glas, 36,0 x 28,5 cm Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KL0232

Manuela Krüger, Leiterin der Abteilung Gästeführung auf der Wartburg, stellt ihr Lieblingsobjekt des Monats Februar 2025 vor: „Es gibt wohl wenige Dinge, die uns so eindrücklich vor Augen führen, wie die Zeit verrinnt, wie eine Sanduhr. Nicht umsonst gilt sie in der Kunst als Zeichen der Vergänglichkeit. Im Museum der Wartburg verwahren wir ein wunderschönes Objekt, das nebeneinander sogar vier Sanduhren zeigt und das eine interessante Geschichte zu erzählen hat.“
Auch wenn sie im Vergleich zu anderen Uhren eher altertümlich wirken, sind Sanduhren vermutlich etwa gleichzeitig mit Räderuhren erst im 14. Jahrhundert entstanden und fanden weite Verbreitung, bis sie im 19. Jahrhundert von mechanischen Uhren verdrängt wurden. Heute kennen wir Sanduhren höchstens noch als Dekorationsobjekte oder als Zeitmesser in der Sauna, bei Gesellschaftsspielen oder beim Zähneputzen.
Dass es sich bei diesem Objekt nicht nur um eine kunstvolle Sand-, sondern um eine Kanzel- oder Predigtuhr handelt (Abb. 1, 2), wurde vielen Gästen erstmals in der Nationalen Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ 2017 hier auf der Burg so richtig deutlich. Hier wurde sie ausgestellt, um zu zeigen, welche Bedeutung der deutschen Predigt zur Verkündigung des Gotteswortes seit der Reformationszeit zukam. Zugleich verrät dieser 1694 entstandene Zeitmesser eine ganze Menge über die praktische Seite des Gottesdienstes. Offenbar nahmen nämlich einige überschwängliche Pfarrer ihre Aufgabe allzu ernst, sodass viele (nach-) reformatorische Kirchenordnungen die Redezeit für Predigten begrenzten. Fortan konnte die Dauer durch die Anbringung von Kanzeluhren überprüft werden. Schließlich hatte schon Martin Luther 1523 in der Schrift Von ordenung gottis diensts in der gemeine für die Gemeinde Leisnig gefordert: „[…] das es alles in einer stund ausgerichtet werde […], denn man mus die seelen nicht uberschutten, das sie nicht mude und uberdrussig werden […].“
Einen Eindruck von müden und überdrüssigen Kirchgängern vermittelt die satirische Darstellung Die schlafende Gemeinde, die der britische Künstler William Hogarth 1736 geschaffen hat (Abb. 3). Offenbar bewahrte hier auch die Anbringung einer Sanduhr an der Kanzel die Zuhörer nicht vor einer langatmigen oder langweiligen Predigt, die zu einem kollektiven Schläfchen verleitete.
Die vier nebeneinander angebrachten Sanduhren mit der Aufschrift 1/4, 2/4, 3/4 und 4/4 unserer Kanzeluhr weisen auf eine „Soll“-Redezeit von insgesamt einer Stunde hin. Der Viertelstundentakt der Uhr macht eine Einteilung der Predigt in bestimmte Abschnitte wahrscheinlich und diente gleichermaßen als Erinnerung für den Pfarrer wie als Anhaltspunkt für die Gemeinde, wie lange ihre Aufmerksamkeit noch gefragt war.
Noch heute sind zahlreiche vergleichbare Kanzeluhren vor allem aus der Zeit des Barock erhalten – einige sogar an ihren ursprünglichen Aufstellungsorten an der Kanzel im Kirchenraum.
Zwei ganz ähnliche Kanzeluhren zierten im Jahr 1983 sogar die 5- und die 10-Pfennig-Marke der DDR-Briefmarkenserie „Kostbare Sand- und Sonnenuhren“ (Abb. 4).
Dass Sanduhren zur Begrenzung der Redezeit auch heute noch nicht ganz aus der Mode gekommen sind, zeigt eine Anekdote aus dem UN-Sicherheitsrat: Zum Auftakt der deutschen Präsidentschaft im April 2019 führte der UN-Botschafter eine Sanduhr mit einer Durchlaufzeit von 5:30 Minuten ein, um die oft ausufernden und ermüdenden Reden der Mitglieder zu beschränken.
Die Kanzelsanduhr kann während der Öffnungszeiten in der Dauerausstellung der Wartburg besichtigt werden.
Abbildungsunterschriften und -nachweise:
Abb. 1 Kanzeluhr von 1694, Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KL0232, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 2 Die Kanzeluhr im Raum „Das Kunsthandwerk“ in der Dauerausstellung der Wartburg, Wartburg-Stiftung, Fotothek, Foto: Rainer Salzmann
Abb. 3 Kupferstich The Sleeping Congregation, William Hogarth, 1736 (Nachdruck von 1762), The Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 91.1.1 (public domain)
Abb. 4 5- und 10-Pfennig-Briefmarken mit Darstellungen von zwei Kanzeluhren, DDR, 1983