Der Walwirbel in der Lutherstube

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Walwirbel
Walwirbel

Claudia Meißner, Museumspädagogin auf der Wartburg, stellt ihr Lieblingsobjekt des Monats März 2020 vor:

„Der Walwirbel in der Lutherstube ist für mich ein ganz besonderes Exponat, weil er scheinbar fehlplatziert neben den anderen wenigen Einrichtungsgegenständen in der Lutherstube steht und so gar nicht auf die mitteldeutsche Wartburg passen will, die nächsten Meere viele hundert Kilometer entfernt...“

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Abgesehen von den Wänden der Lutherstube selbst, in deren Holz 1580 schon die ersten Besucher ihre Namenszüge eingeritzt haben, ist der Rückenwirbel eines Wals wohl das älteste Ausstattungsstück des Raums. Im ältesten Wartburg-Inventar von 1669 wird er beschrieben, aber wann, wie und woher er auf die Wartburg gelangte, ist nicht bekannt. Vergleichbare Knochen von Walen finden sich aber auch an anderen bedeutenden Orten; beispielsweise befindet sich im Magdeburger Dom ein Walknochen und eine Walrippe wurde in der Schlosskirche zu Wittenberg aufbewahrt. Letztere stammt von einem an der Ostsee gestrandeten Wal, wurde von den Herzögen von Pommern 1332 nach Wittenberg geschickt. Eine zweite Rippe hat Friedrich der Weise erworben. Dass der Walwirbel hier auf der Wartburg aus der gleichen Quelle – womöglich vom gleichen Wal – stammt, wird zwar vermutet, kann aber bislang nicht bewiesen werden. Ob also schon Martin Luther ihn bei seinen Studien und Übersetzungstätigkeiten auf der Wartburg als Fußschemel benutzte, ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Abgesehen von den Inventar-Auflistungen der Burg wird der Walwirbel seit dem frühen 18. Jahrhundert in den historischen Beschreibungen erwähnt und ist auch auf bildlichen Darstellungen der Lutherstube seit dieser Zeit zu entdecken. Im 19. Jahrhundert wurden dann immer mehr Objekte in der Lutherstube aufgestellt, die man mit dem großen Reformator in Verbindung brachte, die Kurrende-Büchse Luthers, sein vorgeblicher Trinkhumpen, eine Grubenlampe aus dem Besitz seines Vaters und vieles andere mehr. Während von diesen Stücken heute nur noch die Kurrende-Büchse in der Sammlung verwahrt wird, überstand der Walwirbel die Räumung der Lutherstube von allen „Lutherreliquien“ in den Jahren 1952/53. Im Laufe der musealen Gestaltung betrachtete man den Walwirbel als authentisches Objekt und beließ ihn an Ort und Stelle. Insgesamt scheint er aber historisch auf ein geringeres Interesse bei den Besuchern der Lutherstube gestoßen zu sein – ihm blieb dadurch das Schicksal erspart, in kleinen und kleinsten Teilen als Souvenir abgetragen zu werden, wie es den originalen Schreibtisch Luthers ereilte.

Schlussendlich ist der Walwirbel ein kurioses Objekt, das auf bemerkenswerte Weise die auratische Lutherstube ergänzt, aber immerhin authentischer sein könnte, als der berühmte Tintenfleck, der auch erst im späten 17. Jahrhundert das erste Mal beschrieben wurde.

Der Walwirbel kann in der Lutherstube während der Öffnungszeiten des Museums der Wartburg besichtigt werden.

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